Die Koalition hat in ihrem Bericht zum Akteneinsichtsausschuss zum Bebauungsplan Bieber+Marburg für sich festgestellt, dass der Prozess und die vorgelegten Akten vollständig und transparent seien. Diese Einschätzung teilen wir nicht und wir können auch nicht nachvollziehen, wie man nach einem intensiven Studium der Akten zu dieser kommen kann.
Schon das allererste Dokument, mit dem die Akte zum Bauleitplanverfahren eigentlich beginnen müsste, fehlt. Selbst auf Nachfrage wurde uns das Anschreiben des Unternehmens an die Stadt nicht vorgelegt. Und es wurde seitens des Magistrats auch nicht begründet, warum dieses Dokument fehlt.
Nach diesem ersten Schreiben müssten die Protokolle aus gleich zwei Treffen zwischen Vertreter*innen der Stadt und Bieber+Marburg folgen. Doch auch diese fehlen, weil sie laut Magistrat gar nicht erstellt wurden. Das finden wir bemerkenswert intransparent für ein Bauleitplanverfahren, das doch absehbar nicht nur auf Begeisterung stoßen wird und das gegen eine gültige Beschlusslage verstößt. Eine Beschlusslage, die auch den Stadtverordneten in den Unterlagen zum Einleitungsbeschluss verheimlicht wurde. Und auch der RP bemängelte später, dass es in den Antragsunterlagen zum Zielabweichungsverfahren keinen Hinweis auf die Beschlusslage gibt. Da die Protokolle fehlen, ist für uns auch nicht ersichtlich, ob und - falls überhaupt - wie vehement die Vertreter*innen der Stadt für die Berücksichtigung dieser Beschlusslage gegenüber Bieber+Marburg gekämpft haben.
In den Unterlagen fehlt auch die Kommunikation zwischen der Stadt und dem Architekten, der sich an einer CO2-Bilanz versucht hat. Dass es im Laufe einer mehrmonatigen Zusammenarbeit lediglich zu einem einzigen Austausch per E-Mail gekommen sein soll, der auch erst auf mehrmalige Nachfrage vorgelegt wurde, halten wir nicht für glaubwürdig. Auch die Ausschreibung und damit die Leistungsbeschreibung für die Variantenprüfung wurde uns erst auf mehrmaliges Nachfragen vorgelegt.
Es trägt auch nicht zur Vertrauensbildung bei, wenn von den Unterlagen des B-Plan-Verfahrens nur die ersten 66 von schätzungsweise 500 Seiten nummeriert sind und es große Zeiträume gibt, aus denen keinerlei Kommunikation vorliegt.
Im Ausschuss wurde seitens der Koalition gesagt, dass das Projekt nun mal „politisch gewollt“ sei und wir uns damit abfinden müssten. Und genau der Geist dieses politischen Wollens zieht sich durch die Unterlagen und damit durch einen Prozess, der doch eigentlich ebenfalls nach Aussage der Koalition „ergebnisoffen“ ablaufen sollte.
„Ergebnisoffen“, obwohl der Beschluss von 2009 diese Offenheit überhaupt nicht hergibt. Die Gefahr eines immer weiter wachsenden Gewerbegebiets mitten in einem Schutzwald wurde schon damals erkannt. Aber da man auch damals nicht auf etwaige Arbeitsplätze und zusätzlich Steuereinnahmen verzichten oder dem Unternehmen einen Umzug zumuten wollte, obwohl man damals die Flächen dafür hatte, drückte man alle Augen unter dieser einen Bedingung zu: Danach ist endgültig Schluss.
10 Jahre später will sich daran niemand erinnern, politische Verlässlichkeit ordnet man unter und man startet einen „ergebnisoffenen“ Prozess. Doch wie kann dieser Prozess ergebnisoffen ablaufen, wenn sich der Magistrat schon Anfang 2020, und damit schon lange bevor irgendwelche detaillierten Varianten- oder auch Umweltprüfungen stattgefunden haben, auf die Standorterweiterung festgelegt hat?
Und um diese politisch gewollte Vorfestlegung zu bestätigen, wurden die Kriterien für die Standortvariantenprüfung so definiert und später nachjustiert, dass sie die Erweiterung möglichst positiv aussehen lässt.
Der Fokus wurde auf eine CO2-Bilanz gelegt, die so konzipiert wurde, dass sie für die Standorterweiterung immer besser wird, je mehr Wald gerodet wird. Außerdem wurde ihr Betrachtungszeitraum im Laufe der Erstellung von 30 auf 50 Jahre verlängert, was ebenfalls die Standorterweiterung begünstigt. Und dann wurde auch noch das Thema E-Mobilität bewusst aus der Betrachtung gestrichen, wodurch die Alternativen schlechter gerechnet wurden.
Die Variantenprüfung nach natur- und artenschutzfachlichen Aspekten, die zu einem der CO2 Bilanz diametral entgegenstehenden Ergebnis kommt, hat man hingegen möglichst klein gehalten. Zum Beispiel indem man sie nicht als eigenständiges vollständiges Dokument in die Offenlage gegeben hat, sondern nur auszugsweise in der Begründung. Sie wurde im Gegensatz zur CO2-Bilanz auch nicht im Ausschuss präsentiert. Selbst dem RP und dem Umweltamt wurde dieses Dokument erst auf Nachfrage vorgelegt. Die 17-seitige Kritik des Umweltamtes an den anderen Umweltgutachten wurde dem RP gleich ganz vorenthalten. Dieses Ausspielen von Klimaschutz gegen den Naturschutz sollte eigentlich nicht nur unsere Fraktion problematisch finden.
Insgesamt können wir nicht erkennen, dass hier eine ausgewogene Abwägung zwischen den unterschiedlichen Aspekten und Interessen stattgefunden hat. Dabei sollte eine transparente Abwägung insbesondere im Interesse derjenigen sein, die sich über einen aus guten Gründen genau so getroffenen Beschluss aus 2009 hinwegsetzen, um ihr Vorgehen wenigsten nachvollziehbarer zu machen.
Wir sehen uns in unserem Vorgehen, den Ausschuss zu beantragen, bestätigt, da wir trotz der lückenhaften Dokumente wichtige Erkenntnisse gewinnen konnten. Und wir fühlen uns auch in unserer Ablehnung gegenüber einem Projekt bestätigt, das ein ausuferndes Gewerbegebiet in einem Schutzwald ermöglicht.
Die komplette Stellungnahme finden Sie hier im Parlamentsinfosystem der Stadt Gießen.